Energiewende in DE: Gründe für den Verzug

Deutschland habe eine Regierung, die ihre Klimaschutzziele unbedingterreichen wolle. Dafür zolle er ihr Respekt und Anerkennung. Doch mit Zielenallein könne man das nicht erreichen. Wir wären noch nicht auf Kurs – dassagte der Vorsitzende der Geschäftsführung der Deutschen Energieagentur(dena) Andreas Kuhlmann auf dem Energiewende-Kongress 2022, der MitteNovember stattfand. Und Kerstin Andrae, Geschäftsführerin desBundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), erklärte mit Blickauf den US-amerikanischen Inflation-Reduction-Act, dass Amerika handele undEuropa diskutiere. Kurz: Die Deutsche Energiebranche zeigte sich auf demKongress einig, dass hierzulande Hemmnisse abgebaut werden müssten, damitdie Energiewende klappe. Wir schauen uns an, welche Hemmnisse das sind.

Bestandsaufnahme: Wo steht Deutschland bei der Energiewende?

Diese Frage beantwortete Lamia Messari-Becker kürzlich der Onlineausgabe des TV-Senders ZDF in einem Interview mit der Umweltredaktion von ZDF heute. Die promovierte Bauingenieurin und Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Universität Siegen ist Expertin für Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Energieeffizienz im Gebäudesektor und in der Stadtentwicklung. Sie war bis 2020 Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen und bis 2022 im Expertenkreis „Zukunft Bau“ der Bundesregierung. Sie ist ist Mitglied im „Zukunftsrat nachhaltige Entwicklung“ Rheinland-Pfalz und im Club of Rome. Im Interview stellte Messari-Becker der deutschen Politik ein schlechtes Zeugnis aus: Für die Milliarden an Subventionen sei demnach bisher viel zu wenig erreicht und der Ausbau erneuerbarer Energien teils sogar aktiv verhindert worden.

Auf die ZDF-heute-Frage, wo die deutsche Energiewende derzeit stehe, antwortete Lamia Messari- Becker, dass die deutsche Energiewende bisher nicht so erfolgreich sei, wie sie sein müsse. Ihr zufolge teile sich der Endenergiebedarf von gegenwärtig rund 2.400 Terawattstunden (TWh) auf:

in etwa 20 Prozent Strom

80 Prozent Wärme und Treibstoffe.

Der Anteil der erneuerbaren Energien am Strom liege inzwischen bei etwa 50 Prozent. Im Bereich Wärme liege der Anteil bei nur 15 Prozent und im Bereich Verkehr sogar bei nur bei 7 Prozent. Bezogen auf den Endenergiebedarf würden erneuerbare Energien also einen Anteil von knapp 20 Prozent beitragen. Messari-Becker komme demnach zu dem Schluss, dass für Milliarden an investierten Subventionen eklatant wenig erreicht worden sei.

Nach den Fehlern in der deutschen Energiepolitik gefragt, antwortet die Energieexpertin, dass sie die Abhängigkeit von Russland, insbesondere bei Gaslieferungen, nicht weiter als Fehler betonen wolle.

Es fehle daneben auch an einer systematischen Herangehensweise, die die Ausstiege, etwa aus Kohle- und Atomkraft, mit den Einstiegen in klimafreundliche, erneuerbare Energien und Technologien abstimme. Es fehle ein Plan, der Versorgungssicherheit mit Klimafreundlichkeit verbinde und der konsistent sei. Die wesentlichen Fehler sieht Messari-Becker im verschleppten Ausbau der Erneuerbaren und in der fehlenden Diversifizierung. So bringt die Uni-Professorin ihre Einschätzung auf den Punkt: Deutschland habe den Ausbau erneuerbarer Energien nicht überall vorangetrieben, sondern teils aktiv verhindert. Zudem habe man den Fokus auf Strom und dann auch eher auf Strom aus Windkraft und Photovoltaik gelegt. Eine Wärmewende sei bisher Fehlanzeige. Darüber hinaus sei keine Speicherinfrastruktur und -kapazitäten aufgebaut. Für eine Industrienation und einen Sozialstaat ist diese Unbedarftheit nicht haltbar.

Messari-Becker sieht zudem die Gefahr neuer Energieabhängigkeiten. Sie fordert deshalb, die Energielieferketten zu diversifizieren, denn ohne Handelspartner kämen wir ihrer Meinung nach nicht aus. Gleichzeitig sei es wichtig, eine geostrategische Rohstoffpolitik zu entwickeln, wie es die USA gerade machen würden. Die Energie-Expertin erklärte gegenüber dem ZDF darüber hinaus, dass Deutschland nicht ohne heimischen Rohstoffabbau auskommen werde. Für E-Mobilität und Turbinen von Windkraftanlagen würden seltene Erden gebraucht, die man ihr zufolge auch in Deutschland abbauen könne. Ein zusätzliches Dilemma sei, dass die Produktion von Photovoltaik-Anlagen oder Windrotoren Deutschland bereits verlassen habe. Energiepolitik könne Messari-Becker zufolge nur erfolgreich sein, wenn sie auch vor Ort eine Wertschöpfung generiere.

Die deutsche Energiepolitik stehe demnach vor drei Herausforderungen:

Ausbau und Modernisierung,

Versorgungssicherheit,

Resilienz und Vernetzung.

Das heiße konkret: Der Netzausbau von tausenden Kilometern von Stromleitungen stehe an. Die Gas- und Wärmenetze müssten wasserstofftauglich gemacht werden. Deutschland brauche laut Messari- Becker eine Speicherinfrastruktur, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

Was bremst die deutsche Energiewende (noch)?

Dem Ausbau der Erneuerbaren Energien in Deutschland kommt ohne Frage eine hohe Bedeutung zu. Doch leider kommt der nicht voran. Was sind die Gründe dafür?

Laut dem eingangs verlinkten Bericht des Internetportals Erneuerbare Energien hätten sich die Vertreter der deutschen Energiebranche alle weniger Bürokratie,

schnelle Genehmigungen

und eine positive Einstellung zu Erneuerbaren Energien – in Bund, Ländern und Kommunen

gewünscht. Kerstin Andrae, die BDEW-Geschäftsführerin, hätte Letzteres laut dem Bericht auf den Punkt gebracht, indem sie gesagt hätte, dass sie sich „bis in jede Amtsstube eine Haltung des Gelingens“ wünsche. Damit sind bereits drei wichtige Gründe genannt, die dem Ausbau der Erneuerbaren entgegenstehen:

Bürokratie

langsames Genehmigen

fehlende positive (bestenfalls neutrale, schlimmstenfalls negative Einstellung

Das Handelsblatt nennt in seinem aktuellen Onlinebericht fünf Gründe dafür, warum die deutsche Energiewende nicht klappt. Und das gleichwohl der „rasante Ausbau der erneuerbaren Energien“ eines der wichtigsten Ziele der Ampelkoalition sei. Schließlich hätten sich die Parteien Im Koalitionsvertrag verpflichtet, diesen drastisch zu beschleunigen und alle Hürden und Hemmnisse aus dem zu Weg räumen. Die Ausbauziele seien entsprechend ehrgeizig: Bis zum Jahr 2030 soll der Anteil der Erneuerbaren Energien an der Bruttostromerzeugung den Regierungsplänen zufolge 80 Prozent betragen. Aktuell stünden wir laut Handelsblatt bei rund 50 Prozent. Wobei die 80 Prozent demnach weit über den Plänen der Vorgängerregierung lägen, die für 2030 noch 65 Prozent auf dem Plan stehen hatte.

Für das 80-Prozent-Ausbauziel müsste sich das bisherige Ausbautempo vervielfachen, schreibt das Handelsblatt online weiter. Daran hake es allerdings. Doch was genau sind die Haken? Bei ihrer Recherche sei die Zeitung eigenen Angaben zufolge auf folgende Haken gestoßen:

mangelnde Zusammenarbeit zwischen Behörden, Lieferkettenprobleme und zu wenig Platz für den Ausbau Noch fehle das Tempo, doch die Absicht, es zu erhöhen, sei da. Diese Aussage belegt das Handelsblatt mit dem vom Bundeswirtschaftsministerium im Frühjahr vorgelegte, 500-seitige Gesetzpaket (sogenanntes Osterpaket, wir berichteten). Die per Gesetz festgeschriebenen Ziele ließen sich demnach nur erreichen, wenn

der von der Ampelkoalition versprochene Ausbauturbo jetzt sofort eingeschaltet werde,

in den kommenden Jahren ein Wandel auf allen Ebenen stattfinde

und, wenn all das „wie am Schnürchen“ laufe.

Dazu müssten laut Handelsblattbericht alle beteiligten Akteure mitziehen. Wozu die Zeitung anmerkt, dass zuletzt neue Hindernisse aufgetaucht seien. In Unternehmen und auch bei Branchenexperten wüchsen demnach Zweifel daran, dass sich die Ziele überhaupt erreichen ließen. Das seien laut Handelsblatt die wichtigsten Gründe, die die Akteure an den Ausbauzielen zweifeln
lassen:

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Grund 1: Die Behörden würden nicht an einem Strang ziehen

Straffere Genehmigungsverfahren, die den Ausbau der Erneuerbaren an die Spitze der To-do-Liste setzen und Prüfungen zum Natur- und Artenschutz vereinheitlichen würden, seien Kern des Gesetzpakets (Osterpaket).

Während es allen Beteiligten klar sei, dass diese Erleichterungen für den Bau von Windkraftanlagen (WKA, auch Windräder genannt) und Solarstromanlagen (Photovoltaik-Anlagen) nicht unmittelbar die volle Wirkung entfalten würden, sei es fraglich, wie lange es dauere, bis alle Verwaltungsstufen des deutschen Behördenapparates den neuen Kurs voll verinnerlicht hätten.

Das Handelsblatt beruft sich unter anderem auf Dirk Briese vom Beratungsunternehmen Trendresearch, der seit Jahren intensiv wie kaum ein Zweiter die Entwicklung der Windbranche verfolge. Angesichts einer ganzen Reihe von Hürden, sei dieser skeptisch, schreibt die Zeitung. Briese zufolge würden die Kommunen noch immer eine entscheidende Rolle spielen: Die müssten erforderliche Flächen ausweisen und Genehmigungen auch erteilen. Aus Brieses Sicht stünden viele Kommunen den Ausbauvorhaben immer noch im Weg. Ihm zufolge wecke die Politik Erwartungen, die sich zumindest in den kommenden fünf bis zehn Jahren voraussichtlich nicht erfüllen ließen.

Auch Wolfram Axthelm, der der Geschäftsführer des Bundesverbandes Windenergie (BWE) ist, kommt im Handelsblatt zu Wort: Er äußerte seine Zweifel an der Umsetzbarkeit am Windausbau, indem er sagte, dass das hohe Ambitionsniveau der Bundesregierung allein noch keine neuen Windräder baue. Vielmehr würde der Weg für eine rasche Umsetzung der Ziele über die Länder führen. Denn diese müssten sicherstellen, dass die Genehmigungsbehörden sich umstellten. Bisher hätte nur das Bundeland Mecklenburg-Vorpommern die dafür nötigen Schritte eingeleitet. Axthelm forderte im Handelsblatt, dass die Behörden der Bundesländer ihre Genehmigungspraxis anpassen müssten.


Grund 2: Die Lieferketten würden reißen, die Produktionskapazitäten würden knapp, die Kosten würden steigen

Die weltweiten Lieferkettenprobleme träfen auch die Erneuerbaren-Branche, berichtet das Handelsblatt weiter. Insbesondere China kämpfe infolge der Lockdowns gegen die Ausbreitung des SARS-Covid-19-Virus seit dem Jahr 2020 immer wieder mit Unterbrechungen der Produktionen, was die Exportlogistik wiederholt beeinträchtige, so dass Waren in den chinesischen Containerhäfen festhingen – mit fatalen Folgen, unter anderem für die Photovoltaik-Branche. Dazu müsse man laut Handelsblatt wissen, dass China die Produktion von Solarmodulen mit einem Marktanteil von etwa 85 Prozent dominiere. Diese Entwicklung beeinflusse die Preise der PV-Module und die Lieferzeiten. Der Finanzvorstand des Solarkonzerns SMA, Thomas Pixa, erklärte dem Handelsblatt, dass sich die Lieferzeiten bei kritischen Komponenten dramatisch verlängert hätten. Gründe genug dafür, dass Zweifel an den gigantischen Ausbauzielen aufkommen.

Auch für die Entwickler von Windparks hätten sich demnach die Bedingungen verschlechtert: Der oben bereits genannte Marktbeobachter Briese sagte dem Handelsblatt, dass Turbinenlieferanten derzeit nicht die nötigen Produktionskapazitäten hätten, um die weltweit wachsende Nachfrage zu befriedigen. Hinzu kämen laut Briese noch die sich während der vergangenen Monate enorm erhöhten Kosten, die empfindlich gestörten Lieferketten und auch das anziehende Zinsniveau. Branchenkennern bezifferten die Preiserhöhungen für Windkraftanlagen inflationsbedingt auf 20 bis 30 Prozent. Gleiches gelte für Bau- und Personalkosten sowie Kreditzinsen. Aber: In den Vergütungen würden sich diese Entwicklungen laut dem BWE-Geschäftsführer nicht widerspiegeln. Und sie seien auch der Grund, warum niemanden das geringe Interesse an den vergangenen beiden Ausschreibungsrunden überrascht hätte. Laut Axthelm würden die Vergütungen den aktuellen Kosten nicht gerecht werden. Aus seiner Sicht gebe es keine Hinweise darauf, dass kurzfristig von der Möglichkeit einer Preisanpassung Gebrauch gemacht werde, die der Gesetzgeber im Erneuerbare- Energien-Gesetz (EEG) geschaffen hätte.

Grund 3: Fachkräftemangel und knappe Flächen für Erzeugungsanlagen

Laut einer aktuellen Studie des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (KOFA) am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sei die Energiewende wegen des akuten Fachkräftemangels in Gefahr. Demnach würden allein für den Ausbau der Solar- und Windenergie heute rund 216.000 Fachkräfte fehlen. Der größte Mangel an Experten herrsche in der Bauelektrik, der Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik sowie in der Informatik. Briese sagte gegenüber dem Handelsblatt, dass es dabei nicht nur um Facharbeiter, Techniker und Ingenieure gehe, die für Windparkentwickler und -betreiber arbeiten würden, sondern der Fachkräftemangel auch die Genehmigungsbehörden beträfe. Besonders eklatant sei das Problem demnach bei der Windstromerzeugung auf See.

Im Handelsblattbericht ist weiter zu lesen, dass selbst dann, wenn genügend Fachkräfte zur Verfügung stünden, würde der Ausbau der Erneuerbaren scheitern, weil es an Flächen für die Erzeugungsanlagen fehle. Denn auch wenn für Windräder zwei Prozent der Landesfläche reserviert werden sollen, immerhin doppelt so viel wie derzeit, würden bis Ende 2032 für einzelne Bundesländer noch unterschiedliche Zielvorgaben gelten, da auch die Voraussetzungen zwischen den Bundesländern variierten. An das Zwei-Prozent-Ziel kämen nur drei Länder heran: Schleswig- Holstein, Hessen und das Saarland.

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Grund 4: Die deutsche Politik würde den Rückbau alter Anlagen übersehen

Laut Fachleuten würde die Politik nicht ausreichend berücksichtigen, dass viele bestehende Windparks am Ende ihrer Laufzeit seien und ersetzt werden müssten, schreibt das Handelsblatt weiter. Hintergrund: Die Förderung für Windkraftanlagen laufe regulär nach 20 Jahren aus. Anschließend würden die alten Anlagen abgebaut und mit modernen, leistungsstärkeren Anlagen ersetzt. In den 2000er-Jahren hätte die Einführung der gesetzlichen Förderung einen Windanlagenboom ausgelöst, doch nun stünden viele Windräder vor dem Ende ihres Förderzeitraums. Der Anlagentausch zehre einen Teil des Zuwachses an installierter Leistung mit neuen Anlagen wieder auf. Doch die politische Debatte berücksichtigte diesen Nettoeffekt oft nicht, erklärt Briese. Die tatsächliche Wirkung des Effekts bleibe daher unklar.

Grund 5: Neue Hürden würden entstehen

Als wären das nicht schon genug Hemmnisse für die Energiewende, könnten sogar noch neue Hindernisse hinzukommen, ist im Handelsblatt zu lesen. Die von der Ampelkoalition geplante Abschöpfung von Übergewinnen sei zwar noch nicht beschlossen, dämpfe aber schon jetzt die Investitionsfreude potenzieller Investoren. Die Erneuerbaren-Branche sei verunsichert, sagt Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbandes Erneuerbare Energie (BEE) gegenüber der Zeitung. Demnach seien Investitionen zurückgestellt worden. 92 Prozent der Projektierer von Photovoltaik-Anlagen würden laut Peter damit rechnen, dass ihre Projekte mit der angekündigten Abschöpfung unrentabel würden. Sie beziehe sich bei ihrer Aussage auf eine Umfrage des Solar-Branchenverbandes (BSW Solar). Ob die geplante Abschöpfung tatsächlich zu den befürchteten Verwerfungen führen werde, das sei aber keineswegs sicher. Manche Akteure der Erneuerbaren-Branche würden die Pläne für angemessen und gut verkraftbar halten.

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